SPORT AUTO, 01.05.1991

ALAIN PROST: Prost Scriptum (2)


DIE FORMEL 1 PRODUZIERT STÄNDIG SCHLAGZEILEN. ALAIN PROST BLICKT FÜR SPORT AUTO HINTER DIE KULISSEN, KOMMENTIERT, KRITISIERT UND DENKT ÜBER SEIN METIER NACH. DER FRANZOSE SAGT IN SPORT AUTO, WAS SACHE IST. ER MEINT...

... ZUR ANALYSE DER NIEDERLAGE BEIM GP BRASILIEN:
Keine Frage, das Resultat war enttäuschend. Aber wir sahen schlechter aus, als wir eigentlich waren. Hätte mich Morbidelli im Training nicht aufgehalten, wäre ein Startplatz in der ersten Reihe möglich gewesen. Mit Platz zwei im Warm-up konnten wir auch zufrieden sein. Leider wurden wir im Rennen von einem Problem überrascht, das bis dahin noch nie so unangenehm aufgefallen war. Die Straßenlage des Autos veränderte sich in Abhängigkeit davon, wieviel Benzin wir an Bord hatten. Mit vollen Tanks war das Handling bescheiden. Das besserte sich im Verlauf des Rennens, und zum Schluß fuhr ich die schnellsten Runden. Der beste Beweis dafür, wie schwer das Auto zu fahren war, sind die Rundenzeiten. Für ein, zwei Runden konnte ich so schnell fahren wie die Spitzenreiter. Dann wieder habe ich in einer einzigen Kurve drei Zehntel verloren.

... ZU DEN GRÜNDEN, WARUM DER BEI DEN TESTFAHRTEN NOCH SO STARKE FERRARI 642 PLÖTZLICH SCHWÄCHEN ZEIGT:
Die aerodynamischen Regeländerungen am Ende der letzten Saison haben uns härter getroffen als unsere Gegner. Der Ferrari ist ein Auto der alten Generation. Wir können nicht mit wenig Bodenfreiheit und minimalen Federwegen fahren, weil unser aerodynamisches Konzept, einschließlich der Flügel, darauf nicht abgestimmt ist. Als die FISA die neuen technischen Regeln verabschiedet hat, mußten wir zwei Dinge tun. Zuerst den Verlust an Downforce kompensieren. Das ist gelungen. Wir haben genug Abtrieb, mindestens soviel wie letztes Jahr. Dann kam das zweite Problem: Der Abtrieb muß gleich verteilt sein. Er darf sich beim Bremsen nicht komplett nach vorn verlagern und beim Beschleunigen nach hinten. Das ist bei uns der Fall gewesen. Als Folge davon wird das Auto sehr nervös, besonders beim Bremsen, Beschleunigen und beim Einlenken in schnelle Kurven. Sie werden jetzt fragen, warum wir das nicht bei den Testfahrten schon gemerkt haben. Haben wir, aber nicht in dem Ausmaß. Seit dieser Zeit wurde auch viel modifiziert, zum Beispiel in die Motorcharakteristik. Das hat die Probleme eher verschärft. Die anderen Teams hatten es leichter. Sie konnten mit völlig neuen Autos auf das Reglement reagieren.

... DAZU, DASS FERRARI MÖGLICHERWEISE EINEN FEHLER GEMACHT HAT, KEIN NEUES AUTO ZU BAUEN:
Das ist schwer zu beantworten. Es gab eine Phase, da wollten wir ein neues Auto bauen. Da aber unser neuer Aerodynamiker, Jean-Claude Migeot, zu spät zu uns kam, wurde die Zeit zu knapp. Migeot hat ausserdem verschiedene aerodynamische Konzepte, wie zum Beispiel eine Tyrrell-Nase, an unserem Auto ausprobiert. Es brachte nicht den geringsten Vorteil.

... DAZU, WIE FERRARI DIE PROBLEME LÖSEN WILL:
Wir sind auf dem besten Weg dazu. Um ehrlich zu sein: Der Ferrari leidet an zwei Problemen. Jede aerodynamische Schwäche hat in der Regel auch ihre mechanischen Ursachen. Wir haben entdeckt, daß sich die Vorderradaufhängung zu stark bewegt hat. Als Folge davon neigt sich das Auto beim Bremsen nach vorn, der Anströmwinkel auf Flügel und Unterboden verändert sich, und damit ist der Abtrieb beim Teufel. Wir haben die Schwachpunkte erkannt und verbessert.

... ÜBER DIE TORSCHLUSSPANIK, DIE BEI FERRARI NACH DER NIEDERLAGE IN BRASILIEN ENTSTAND:
In einem normalen Team sind das normale Probleme. Bei Ferrari dagegen große. Zum Glück haben wir Leute im Team, die als Einzelperson wissen, wie man seinen Kopf aus der Schlinge zieht. Ferrari muß als Team aber noch lernen, wie man so einem Problem in Ruhe begegnet: Man muß sich gegenseitig die Wahrheit sagen und eine Lösung organisieren.

... ÜBER DEN HÖHENFLUG DES WILLIAMS-RENAULT:
Unter den besten vier Teams gibt es keine Überraschungen. Die einzige Überraschung wäre es, wenn plötzlich ein Ferrari, McLaren, Williams oder Benetton um zwei Sekunden hinterherfahren würde. Williams hat alle Voraussetzungen, ein gutes Auto zu bauen. Sie haben Geld, erfahrene Leute, mit Patrick Head und Adrian Newey gute Ingenieure und einen wirklich ausgezeichneten Motor. Williams nutzt einfach sein Potential im Moment zu 100 Prozent aus.

... ZU DEM PROBLEM, ANDERE AUTOS IM RENNEN ZU ÜBERHOLEN:
Seit vier Jahren sage ich, daß die Autos zu schnell geworden sind. Die Geschwindigkeiten müssen runter, nicht nur aus Sicherheitsgründen. Auch der Kampf auf der Rennstrecke leidet darunter. Wir bremsen heute viel zu spät vor den Kurven. In Interlagos am Ende der Zielgeraden, liegt der Bremspunkt bei 70 Metern. Das Runterschalten vom siebten in den dritten Gang und der Bremsvorgang spielen sich in einer Sekunde ab. Bei so wenig Platz und Zeit ist es fast unmöglich, noch später zu bremsen als dein Gegner. Besonders am Anfang des Rennens, wenn die Autos mit vollen Tanks und frischen Reifen sehr heikel zu fahren sind. In dieser Hinsicht hat es Senna leicht. Seine Trainingsbestzeiten zahlen sich aus. Er diktiert vorn das Tempo und weiß, daß man ihn praktisch nur überholen kann, wenn er einen Fehler macht. Würde man ihn mit aller Gewalt angreifen, liefe man zudem noch Gefahr, sich seine Reifen zu ruinieren.

... ÜBER VERDÄCHTIGUNGEN, SENNAS GESCHICHTE, ER SEI IM FINALE DES GP BRASILIEN NUR MIT DEM SECHSTEN GANG GEFAHREN, STIMME NICHT:
Ich glaube Senna in diesem Fall, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie elastisch die Motoren von Honda sind. Für mich verdanken McLaren, und vorher auch Williams, 80 Prozent ihres Erfolgs Honda. Wenn Senna in Interlagos eine Runde von 1.23 Minuten ausschließlich im sechsten Gang fährt, dann kann ich nur sagen: Der Honda V12 muß eine Sensation sein. Wollte ich das mit unserem Motor machen, würde ich nach der ersten Kurve stehenbleiben.

... WAS MEINEN SIE ZU DER DISQUALIFIKATION DES LARROUSSE-TEAMS FÜR 1990?
Ich habe darüber einen Artikel in einer französischen Zeitung geschrieben, weil ich glaube, daß man Larrousse nicht fair behandelt hat. Der FISA-Präsident, der auch Präsident des französischen Automobilklubs ist, hätte ein französisches Team in diesem Fall unterstützen müssen. Jeder weiß, wie hart es gerade für die kleinen Teams ist, zu überleben. Die Formel 1 braucht solche Teams. Wenn dann so ein Rennstall gute Leistungen bringt, sollte man ihm keine Steine in den Weg werfen. Die Diskussionen, daß Larrousse seine Autos bei Lola bauen läßt, gab es schon vor drei Jahren. Es ist absolut unverständlich, daß er jetzt dafür bestraft wird.

... KÖNNTEN AUCH VÖLLIG UNTRAINIERTE FAHRER IN DER FORMEL 1 MITFAHREN? WIE WICHTIG IST FITNESS?
Als ich anfing, in der Formel 1 an der Spitze zu fahren, habe ich keinerlei Fitneß gemacht. Das ging drei Jahre gut. Wenn man zehn Jahre lang erfolgreich sein will, und das auch in meinem Alter, muß man auch außerhalb des Rennwagens für den Sport leben. Ich fühle mich heute besser als vor zehn Jahren. An einem Tag, an dem es nur regnet, werde ich fast krank. Ich denke dann nur daran, daß ich jetzt die Zeit mit Jogging, Radfahren oder Golfspielen nutzen könnte. Wenn du jede Woche im Rennauto sitzt, ist Fitneß ein Muß. Ein junger Fahrer, der in einem kleinen Team fährt, daß sich nur zwei oder drei Testfahrten im Jahr leisten kann, kommt vielleicht auch ohne Training über die Runden.



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