RALLYE RACING, 01.01.1991

Alain Prost: "...ich würde gerne mal untertauchen"



Nicht nur die Formel 1 im Kopf - der amtierende Weltmeister plauderte mit rallye racing-Autor Pino Allievi über Gott, den Papst und die Welt.

Alain, was bedeutet es Ihnen, daß Ihr Name eines Tages in den Lexika neben Männern wie Julius Cäsar, Napoleon oder John F. Kennedy aufgeführt werden wird?
Da werden ein paar Zeilen stehen: Alain Prost, geboren 1955, Rennfahrer, Gewinner von drei, vier oder fünf Weltmeistertiteln. Aber vor und hinter meinem Namen sind so viele wichtige Männer aufgeführt, daß niemand von mir Notiz nehmen wird.

Sie wurden 1955 geboren, in einem Jahr, das wegen der Gründung des Warschauer Pakts, dem Tod von James Dean, der Afro-Asiatischen Rassismus-Konferenz und Atombomben-Tests in Erinnerung ist. Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zur Geschichte?
Es war mir nicht bewußt, daß 1955 der Warschauer Pakt gegründet wurde - James Deans Tod dagegen durchaus. Was mein Verhältnis zur Geschichte betrifft, so ist sie für mich wie ein großer Fluß, der eine Folge von Ereignissen mit sich führt. Ich versuche diese Ereignisse mitzubekommen - einige Daten aus den letzten 30 Jahren kenne ich durchaus -, aber in unseren Tagen läuft alles mit einem so rasend schnellen Tempo ab. Leuten, die solch einen Job wie ich haben, bleibt meist nur die Zeit für einen flüchtigen Blick. Trotzdem versuche ich, den Überblick über die täglichen Ereignisse zu behalten. Ohne Zeitungen und NachrichtenSendungen kann ich nicht leben - ich käme mir verloren vor. Wenn man versucht, hinter die Dinge zu blicken, sind sie meist schon wieder Vergangenheit. Man braucht sich nur anzusehen, was in Osteuropa passiert. Dort geht der größte Wandel, den unser Jahrhundert bisher erlebte, über die Bühne. Und schon reden einige Leute darüber, als handle es sich bereits um ein selbstverständliches, weit zurückliegendes Ereignis.

Wird die Welt im Laufe der Zeit besser oder schlechter werden?
Ich glaube, sie verschlechtert sich, allerdings nicht mit großer Geschwindigkeit. Viele Leute vertreten die Meinung, die Erde sei einmal ein besserer Platz gewesen. Wer kann das aber beweisen?

Zu Osteuropa: Haben Sie den Umsturz erwartet, den Michail Gorbatschow in der UdSSR auslöste?
Ja, Gorbatschow ist ein Mann, dem ich traue. Aber die Dinge sind so schnell gegangen, und Osteuropa hat bereits ein anderes Gesicht. Diese schnelle Entwicklung hat wohl niemand vorhersehen können.

Sind Streiks der einzige Weg, um etwas zu erreichen?
Streiks sind die Reaktion von Menschen, die glauben, in einer schwachen Position zu sein, und deshalb keinen anderen Weg sehen, um das zu erreichen, was sie für ihr Recht halten. In der Beziehung zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern sollte aber niemals vergessen werden, daß Streiks ein ganzes Land in die Knie zwingen können und damit auch Leute treffen, die nichts mit der Sache zu tun haben. Wenn zum Beispiel in einem Land die Fluglotsen streiken, dann geht doch in halb Europa nichts mehr.

Stehen Sie immer noch in totaler Opposition zu Frankreichs sozialistischer Regierung?
Die politische Landschaft hat sich ziemlich verändert. In Frankreich haben die herkömmlichen Begriffe wie rechter Flügel, linker Flügel, Sozialisten und Kommunisten doch kaum noch praktische Bedeutung. Ich bin nur enttäuscht darüber, wie ungenügend einige prominente Politiker ihren Job machen.

Zur Zeit wird viel über die Gefahren gesprochen, die durch das Ozonloch drohen...
Darüber habe ich viel gelesen. Ich bin davon überzeugt, daß dieses spezielle Problem weniger schlimm ist als angenommen. Die Wissenschaftler warten mit zu vielen widersprüchlichen Aussagen auf. Aber ich mache mir allgemein große Sorgen um die Erde und verfolge beängstigt, wie die Menschheit mit der Umweltverschmutzung fortfährt. Es ist natürlich leicht, die Augen zu schließen, denn für uns ist das Problem noch nicht so gefährlich - aber es betrifft um so mehr unsere Kinder.

Drogen sind eine Geißel unserer Zeit. Je größer die Kampfmaßnahmen gegen die Drogen werden, um so mehr Menschen kommen damit in Berührung - daß ist ein Wettlauf, der schon am Start verloren zu sein scheint.
Die Anti-Drogen-Kampagnen erinnern mich an andere Dinge. Zum Beispiel an das Sicherheitsproblem auf unseren Straßen oder die Gefahren des Rauchens: Jeder weiß um diese Gefahren, und daß gehandelt werden muß, um ihnen zu begegnen. Aber Heuchelei überwiegt, weil überall enorme finanzielle Interessen dahinterstecken. Ich habe den Eindruck, die Leute wollen diese Phänomene verkleinern, aber nicht komplett beseitigen. Man sieht es zum Beispiel beim Rauchen: Es ist ja schön und gut, sich gegen Zigaretten-Werbung auszusprechen. Aber wenn das Rauchen wirklich schlecht für die Menschen ist, warum spricht man sich dann nicht direkt gegen den Tabak aus?

Bekannte Sportgrößen haben immer wieder die Gelegenheit, außergewöhnliche Persönlichkeiten kennenzulernen. Welche dieser Begegnungen hat Ihnen am meisten bedeutet?
Die mit dem Papst, auch wenn es mir schwerfällt, meine Gefühle genau zu beschreiben. Aufgrund der Größe des Anlasses und der Person war ich von Ehrfurcht ergriffen. Wir sprachen über viele Dinge und er erzählte mir sogar, daß er gelegentlich TV-Übertragungen von Grand Prix-Rennen anschaut. Das war Ende 1985, als diskutiert wurde, ob wir in Südafrika starten sollen oder nicht. Seine Heiligkeit sprach das Problem der Apartheid an und sagte, nach seiner Meinung solle ich nach Kyalami fahren, um den Kontakt zu dieser von Schwierigkeiten und Zweifeln verfolgten Nation zu halten.

Was denken Sie über Rassismus?
Das ist eine Geißel, die auf einer Stufe mit dem Drogenproblem steht - mit dem selben Grad an Scheinheiligkeit. Nur ein Irrer kann sich dafür aussprechen, unterschiedliche Rassen zu trennen. Immer wenn ich in Südafrika war, habe ich nicht die Dinge gesehen, über die man in den Zeitungen liest. Ich bin entweder im Hotel oder an der Rennstrecke gewesen. Da bleibt nicht viel Zeit, um sich einen genauen Überblick zu verschaffen. Trotzdem: Welchen Sinn macht es, wenn man dort nicht hingeht, um etwa ein Fußballspiel auszutragen, oder wenn man ein Autorennen boykottiert, wenn die Multis gleichzeitig täglich ihre Geschäfte dort abwickeln? Andererseits: Wenn Sportler nach Südafrika reisen, dann sollten sie dort gemeinsam etwas tun, Signale setzen. Bei meinen Formel 1-Kollegen sind die Gesprächsthemen leider meist auf Über- oder Untersteuern beschränkt. Schade - Aktionen von Leuten wie uns, die sich abseits politischer Interessen bewegen, könnten sich trotzdem positiv auswirken. Neben Südafrika gibt es natürlich noch Fragen wie etwa die der Immigranten aus Tunesien, Mali, dem Senegal, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa kommen. In diesem Fall sind die Schwierigkeiten nicht die Immigration, sondern die Integration. Meist sind solche Menschen in den Gesellschaften Ihrer Gastländer nicht integriert. Das führt dann zu rassistischen Strömungen. Speziell dort, wo Arbeitslosigkeit bereits ein Problem ist.

Unsere Straßen sind ein großer Friedhof. Was läßt sich Ihrer Meinung nach tun, um die vielen Verkehrsunfälle zu verhindern?
Probleme in Sachen Verkehrssicherheit sind ein ständiger Begleiter unseres Lebens. Unfalltote machen mich wirklich traurig. Es ist eine Beleidigung für die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer, wenn man die aus Blech gebauten Autos sieht, obwohl modernste Baustoffe als Ersatz zur Verfügung stehen. Nichts wird unternommen, um die Produktion ungenügend sicherer Autos zu stoppen. Auch das ist Heuchelei. Man braucht sich doch ein Kinderspiel. Hunderte oder Tausende von Menschenleben könnten so gerettet werden.

Sie haben einen sechsjährigen Sohn. Was denken Sie über das Reizthema "Kinder und Fernsehen"?
In Massen genossen kann das Fernsehen auf Kinder anregend wirken. In japanischen Zeichentrickfilmen aber beispielsweise sieht man die unglaublichsten Dinge: Mord und Totschlag, Massaker. Mein Nicolas ist ein sehr sensibles Kind, und solche Dinge regen ihn auf. Gleichzeitig wird ihm aber bewußt, was auf dieser Welt los ist. Ich war sprachlos, als ich die Gewalt sah, die in dem neuen Zeichentrickfilm "Akira" stattfindet. Der reine Wahnsinn.

Wie beurteilen Sie die Diskussion um Abtreibungen?
In unserem Jahrhundert ist das normal. Ich bin gläubiger Katholik, aber unter gewissen Umständen sind Abtreibungen einfach unvermeidlich.

Stichwort Todesstrafe - sind Sie dafür oder dagegen?
Es fällt mir nicht leicht, das zu sagen, aber sie sollte in Fällen besonders brutaler Gewalt, etwa gegen Kinder oder beim Kidnapping, möglich sein. Wenn ich mir vorstelle, daß jemand meinen Sohn tötet, dann würde derjenige natürlich sofort eine lebenslängliche Haftstrafe bekommen. Bei guter Führung käme der Täter dann aber nach zehn Jahren frei. Nein, das würde ich nicht aushalten. Wir müssen uns davor hüten, zu nachsichtig zu sein.

Wie stehen Sie zum Thema Adoption?
Ein Kind zu adoptieren ist wundervoll, wenn man keine eigenen Kinder haben kann. Ohne Kinder ist das Leben traurig. Auch für das Kind, das adoptiert wird, kann's großartig sein. Wenn ein Paar aber Kinder haben kann, dann gibt es keinen Grund für Adoptionen.

Wer war bisher die wichtigste Person in Ihrem Leben?
Meine Frau Anne-Marie - sie ist die einzige, die in wichtigen Augenblicken stets bei mir war. Mit ihrem ausgeglichenen Wesen ist sie mir auch beruflich immer eine große Stütze.

Fürchten Sie sich vor Krankheiten?
Ja sogar sehr. Vor Krankheiten und dem Alter. Nach einem erfüllten, gesunden Sporterleben ist das Alter nur schwer zu ertragen. Und seit mein Bruder an einer todbringenden Krankheit starb, erschrecken mich Krankheiten. Ich nehme niemals Medikamente, ich fürchte mich vor Arztbesuchen. Trotzdem lasse ich mich einmal im Jahr gründlich durchchecken.

Die Zeitung "Figaro" behauptet, jeder Franzose würde ein Tagebuch führen - führen Sie eins?
Ich habe diesen Artikel auch gelesen, aber ich glaube nicht, was da geschrieben stand. Die Franzosen sind viel zu faul, um so etwas zu tun...

Gehen Sie gern ins Kino?
Ja, ich sehe mir oft Filme an. Aber es regt mich auf, wenn andere Kinobesucher sich umdrehen und mich anstelle der Leinwand anschauen. Die Popularität hat mir viele der kleinen Freuden des Lebens verdorben. So gehe ich zum Beispiel gern einkaufen, ich schaue mir die Schaufenster-
auslagen an, streife durch die Läden und kaufe Spielzeug für meinen Sohn. An vielen Orten kann ich jedoch nicht in Ruhe umhergehen. Ich würde gerne mal untertauchen. Das Leben ist nicht leicht, wenn man das Gesicht von Alain Prost hat.

Was bedeutet die Einsamkeit für einen Sportler, einen Rennfahrer?
Bei mir ist es das Problem, mein Privatleben zu führen. Daß ich in keinen Laden, kein Restaurant, kein Hotel gehen kann, ohne daß mir jemand Fragen über das letzte Rennen stellt und wissen will, wie das nächste möglicherweise ausgehen könnte. Ganz allgemein empfinde ich Einsamkeit meistens bei den Testfahrten zwischen zwei Grand Prix-Rennen. Auch auf Reisen fühle ich mich einsam. Ich reise meist allein, und das ist auf langen Strecken langweilig.

Hatten Sie schon einmal Träume, die dann Wahrheit wurden?
Ja sogar einen unglaublichen. Ich träumte, meine Großmutter sei tot. Ich war damals noch ein Kind, wachte auf und rannte sofort in ihr Zimmer, das direkt neben meinem lag. Natürlich ging's ihr blendend. Aber in der folgenden Nacht starb sie. Seitdem schenke ich einigen Träumen besondere Beachtung.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Mit ziemlicher Gewißheit. Ich würde dann ein völlig anderes Leben führen wollen. Ein Künstler zu sein wäre schön, ja, das ist es - ich wäre dann gern ein Maler!




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