MOTORSPORT AKTUELL, 22.02.2005

Alain Prost: "Formel 1 macht fast alles falsch"



Von Patrick Camus

Mit vier WM-Titeln war Alain Prost lange Zeit der erfolgreichste GP-Pilot der Neuzeit. Am Donnerstag feiert "Le Prefesseur" seinen 50. Geburtstag.
Alain Prost hat als Formel-1-Pilot alles erreicht. Heute greift der Franzose bei Eisrennen ins Lenkrad, misst sich auf dem Fahrrad mit Gleichaltrigen und schüttete MSa sein Herz aus.

Du feierst diese Woche deinen 50. Geburtstag. Was geht dir durch den Kopf?
Nach 40 hatte ich das Gefühl, dass mir die Zeit durch die Finger rinnt. Ich hatte Angst, dass ich gewisse Pläne nicht verwirklichen kann. Ausserdem konnte ich mir ein Leben ohne Motorsport nicht vorstellen. Doch je näher der 50. Geburtstag kommt, desto gelassener sehe ich ihm entgegen. Vielleicht ist die Zeit jetzt reif, um das Leben in vollen Zügen zu geniessen. Mit 50 ist ja erst Halbzeit.

Rennfahrer sind von Natur aus egoistisch. Hast du dich diesbezüglich verändert?
Ja. In der Regel passt sich der Mensch den Umständen in Beruf und Familie an. Sobald der Druck und die Hektik abnehmen, sieht er vieles mit anderen Augen. Ich habe heute Zeit, um über Dinge nachzudenken, die ich früher verdrängt habe.

Du hast diesen Winter für Toyota an der Trophée Andros teilgenommen. Welchen Stellenwert hat diese Form von Motorsport für Dich?
Ich liebe diese Eisrennen. Ich habe dort Sachen entdeckt, die ich vermisst hatte. Mir gefällt das Gefühl des Wettbewerbs. Ich bin ein Teil einer Mannschaft, die ein klares Ziel vor Augen hat. Dazu das Publikum und die Autos, mit denen man Spass haben kann. Ich fühle mich mindestens zwanzig Jahre zurückversetzt - an meine Anfänge in der Formel 1. Diese Rennen sind eine Art Jungbrunnen für mich. Als ich ersten Testfahrten zugesagt habe, glaubten viele noch an einen PR-Gag.

Du hast 2004 den Maserati-Sportwagen für die FIA-GT-Serie getestet. Warum ist nicht mehr daraus geworden?
Ich steckte grosse Hoffnungen in dieses Programm. Ich habe geglaubt, dass die Teilnahme von Maserati andere Hersteller anlocken würde. Gemeinsam mit Ferrari-Rennleiter Jean Todt haben wir an der Idee eines Werksteams gearbeitet. Als kein anderer Hersteller Interesse signalisierte, habe ich die Diskussion beendet.

Es gab auch Gerüchte, du würdest für Audi bei den 24 h von Le Mans teilnehmen.
Das habe ich auch gelesen. Die Wahrheit ist, dass Hugues de Chaunac mich gefragt hat, ob ich Interesse hätte, in Le Mans zu starten. Ich wollte mir das gut überlegen und bat um eine Bedenkzeit. Doch um ehrlich zu sein: Was habe ich in meinem Alter in Le Mans zu suchen? Ich will mein Leben geniessen und kein unnötiges Risiko eingehen. Ich habe zwei Freunde in Le Mans verloren. Dieses Rennen ist nicht für mich gemacht.

Wie stehst du der Formel 1 gegenüber?
Nachdem ich meinen eigenen Rennstall zusperren musste, habe ich sechs Monate lang keine Rennen mehr verfolgt. Danach habe ich ab und zu reingeschaut. Heute verpasse ich keines.

Gefällt dir, was du siehst?
Nein, ich beobachte die Szene sehr kritisch.

Was läuft falsch?
Ich habe das Glück, einen GP mit drei bis vier Paar Augen zu sehen. Diese verschiedenen Sichtweisen ermöglichen es mir, die Formel 1 als etwas Gesamtes zu betrachten. Mit meiner Erfahrung sehe ich aber auch mehr als der durchschnittliche Zuschauer. Fakt ist: Das Spektakel ist nicht so wie es sein sollte. Die Formel 1 wurde nicht zerstört, man hat sie zugrunde gerichtet.

In welchen Bereichen?
Sportlich gesehen ist die F1 nicht repräsentativ. Sie bewegt sich unter dem Niveau der Spitzentechnik im Automobilbau. Die Formel 1 ist zu einem reinen TV-Ereignis verkommen. Der Fan an der Strecke ist nahezu bedeutungslos. Ihm wird mit teuren Eintrittskarten das Geld aus der Tasche gezogen. Deshalb wenden sich in Ländern, in denen der GP-Sport eine Tradition hat, immer mehr Leute ab. Warum lockt die F1 in Frankreich nur noch zweieinhalb Millionen Zuschauer vor die Fernsehgeräte? Zu meiner Zeit waren es sechs bis sieben. Von der Logik her müssten es heute mindestens acht oder neun sein. Sicher trägt die Dominanz von Michael Schumacher dazu bei. Schuld ist auch, dass Barrichello bei Ferrari nicht die Mittel hat, Schumi zu schlagen. Das grösste Problem jedoch ist, dass sich alles ums Geld dreht. Der menschliche Faktor ist verloren gegangen. Was fehlt, ist die Rivalität auf der Strecke. Ich vermisse Fahrer mit Charisma, richtige Charakterköpfe. Die Formel 1 darf nicht nur ein Instrument für Technik und Marketing sein. Es sind die Geschichten der Piloten, die die Leute faszinieren.

Wer ist schuld an der Misere?
Die Automobilwerke glauben an Keimfreiheit, an die Politik des "Die ganze Welt ist schön, alle sind nett miteinander". Aber Damit lässt sich die breite Masse nicht begeistern.

Renault tritt ohne französischen Pilot an, Ferrari verzichtet auf einen Italiener, bei McLaren-Mercedes ist noch nie ein Deutscher gefahren. Eine weitere Sinnlosigkeit?
Ferrari ist eine Ausnahme. Die Roten werden nicht über einen bestimmten Fahrer identifiziert. Wenn Schumacher siegt, gewinnt Ferrari. Alle anderen Team sind mehr oder weniger bekannt. Ihre Erfolge werden mit dem des jeweiligen Fahrers in Verbindung gebracht. Mein Traum wäre eine Formel 1, die aus Nationalmannschaften bestehen würde. Leider ist das utopisch.

Du hast als Teamchef von Prost Grand Prix aber auch auf Nicht-Franzosen vertraut.
Das stimmt. Ich habe Fahrer aus Italien, Brasilien oder Deutschland engagiert. Hätte ich einen Motorenpartner gehabt, der mir den Rücken stärkt und mir keine Sorgen um das Budget machen müssen, dann hätte ich eine andere Wahl gehabt. Dasselbe gilt für Minardi oder Jordan. Nur die Stärksten können ihre Cockpits in erster Linie aus sportlichen Gründen besetzen.

Wir leben heute aber in einem Zeitalter der Globalisierung.
Ja und nein. Ein Rennstall braucht eine Identifikation. Welchen Nutzen hat ein Global-Team, wenn sich die Fans damit nicht identifizieren können? Oder anders gefragt: Welchen Grund haben französische Zeitungen, um heutzutage regelmässig über Formel 1 zu berichten?

Bist du mit den Regeländerungen einverstanden?
Bis jetzt wurde nichts unternommen, um die Kosten wirklich zu senken. Die Anzahl Testtage zu limitieren, scheitert am Veto von Ferrari. Bis zum Ablauf des Concorde Agreement Ende 2007 sind der FIA die Hände gebunden. Max Mosley kann also nur einschreiten, wenn die Sicherheit gefährdet ist. Den Abtrieb zu verringern und die Reifen zu limitieren, ist grundsätzlich eine gute Idee. Im Endeffekt entstehen dadurch aber nur noch mehr Testfahrten und teure Simulationen. Warum kehrt man nicht einfach zu den profillosen Reifen zurück? Oder warum gibt man den Teams nicht zwei oder drei Reifentypen zur Auswahl? Das würde unterschiedliche Strategien ermöglichen.

Was ist mit den Tankstopps?
Sie sind gefährlich, kosten Geld und sind für den Zuschauer aus strategischer Sicht nicht spannend. Ich würde sie abschaffen. Im Gegenzug würde ich das Wechseln der Reifen wieder erlauben. Die Fahrer könnten dadurch unterschiedliche Taktiken verfolgen. Der eine wählt einen weichen Gummi, muss rascher und öfter wechseln, der andere greift sich eine härtere Mischung, mit der er länger draussen bleiben kann. Der Ausgang der Rennen wäre offener.

Wäre es besser, man würde der FIA die Vollmacht übertragen, solange sich die Teams untereinander nicht einig sind?br> Was es braucht, ist eine sportliche Macht, die Mittel hat, um einzugreifen. Auf der technischen Seite sollte sich die Mitsprache im Rahmen halten. Dort müsste man im Dialog mit den Konstrukteuren eine vernünftige Lösung anpeilen. Wichtig ist auch eine Opposition. Diese darf jedoch nicht, wie es im Moment der Fall ist, das System blockieren. Man kann die Teambosse in zwei Kategorien aufteilen. Die der Top-Teams leben in einer permanenten Angst, dass einer von ihnen durch eine Regeländerung mehr profitiert als die anderen. Es ist klar, dass Ferrari im Moment kein Interesse an einer Regeländerung haben kann. Stimmt Ferrari trotzdem zu oder drängen die Italiener sogar auf eine Änderung, haben alle anderen das Gefühl, dass Ross Brawn die neuen Teile nur noch ans Auto montieren muss, weil Ferrari schon seit Monaten im stillen Kämmerlein daran arbeitet. Ein solches Verhalten ist dumm und erinnert an den Kindergarten.

Trotz negativer Presse boomt die Formel 1 - siehe China.
Neue Märkte zu erschliessen und Kunden zum GP von China einzuladen, ist für die meisten Teams ein gefundenes Fressen. Aber bleiben wir auf dem Boden: 75 Prozent des wirtschaftlichen und medialen Potenzials liegen nach wie vor in Europa. 300 000 Zuschauer in Shanghai - das ist beeindruckend. Die wären aber alle auch erschienen, wenn man ihnen gesagt hätte, dass sie bei einem Windhund-Rennen ihren Spass haben. Diese Leute in treue Formel-1-Anhänger zu verwandeln, dauert 20 bis 30 Jahre. Die F1 braucht auch Rennen vor 50 000 Zuschauern - an traditionellen GP-Orten.

Ist Alain Prost der Bernie Ecclestone der Zukunft?
Nein, auf keinen Fall. Bernie hat aus der F1 einen fantastischen Sport gemacht. Doch inzwischen ist alles komplizierter geworden. Wenn ich mit meiner Erfahrung der Formel 1 in einer Form helfen kann, bin ich bereit, dies zu tun. Schliesslich hat mir die F1 auch viel gegeben, und ich bin heute noch von ihr fasziniert.

Was hältst du von der Flut an Nachwuchsformeln?
Alles war so einfach. Zu meiner Zeit gab es Formel 1, Formel 2, Formel 3. Heute hat jeder Hersteller das Gefühl, er müsse eine eigene Nachwuchsserie schaffen. Es gibt vier oder fünf solcher Formeln. Alle wollen das "Vorzimmer zur Formel 1" sein. Sie nehmen sich Sponsoren und Zuschauer weg. In jeder Meisterschaft liegen die Budgets zwischen 500 000 und einer Million Euro. Das ist in einer Zeit, in der die Wirtschaft stagniert, überflüssiger Luxus.



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