FRANCE 2, 13.11.2005

Alain Prost bei "Vivement Dimanche"


Transcript: Tom Freres, www.asb-rwf.de -
Mit freundlicher Erlaubnis zur Veröffentlichung auf prostfan.com

Anlässlich des 50. Geburtstags von Alain Prost und des 20. Jahrestages seines ersten WM-Titels hat der französische Sender France 2 ihm die heutige Ausgabe der Sendung "Vivement Dimanche!" gewidmet, in der neben Prost selbst auch Freunde, Verwandte und Weggefährten zu Wort kommen. Da sie sehr interessant war und durchaus Äußerungen enthält, die so noch nicht oft zu lesen waren, poste ich hier mal Transkript.

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Moderator: Wir begrüßen den vielleicht größten französischen Champion aller Zeiten. Vor 20 Jahren wurde er zum ersten Mal Formel 1-Weltmeister und holte insgesamt vier Titel. Schumacher, Räikkönen, Alonso und die anderen haben immer gesagt, dass sie viel von ihm gelernt haben - sie sind in gewisser Weise auch seine Schüler, und 12 Jahre nach dem Ende seiner Karriere nennt man ihn noch immer den "Professor". Hier ist Alain Prost. (...) Sie wissen ja, die F1-Piloten und vor allem die Weltmeister sind sehr schwer zu erwischen, weil sie nie daheim sind, und auch wenn Alain seit 12 Jahren nicht mehr fährt, ist er nur selten verfügbar - er hat viel zu tun. Und er fährt immer noch viel - wenn auch bequemer als im F1-Wagen, nämlich auf dem Fahrrad.

Prost: Es stimmt, dass wir schon seit langem über diese Sendung gesprochen haben. Und jetzt haben wir ja immerhin einen Geburtstag...

Moderator: ...genau. Sie sind vor 20 Jahren erstmals Weltmeister geworden und feiern Ihren fünfzigsten Geburtstag...

Prost: Genau, es ist also schon ein besonderes Jahr. 1993, nach dem letzten F1-Rennen, habe ich drei Monate gar nichts gemacht, und bin dabei fast verrückt geworden. Seit dieser Zeit habe ich nie aufgehört, einen Haufen Sachen zu machen - ich glaube, wir werden noch darauf zu sprechen kommen (grinst).

Moderator: (Zeigt auf ein Kinderfoto von Prost) Was denken Sie, wenn Sie diese Fotos sehen, Alain?

Prost: Naja, zu dieser Zeit wusste ich noch nicht so richtig, was ich dachte (grinst), aber was sicher ist: Zu dieser Zeit habe ich noch nicht daran gedacht, das zu tun, was ich später im Leben und in meiner Karriere gemacht habe, weil zu diesem Zeitpunkt nichts darauf hingedeutet hätte, eine Sportlerkarriere anzufangen. Um mich herum wurde in meiner Familie - Eltern, Großeltern und so weiter - nie Sport getrieben. Es gab auch keinen Sportler in der Familie.

Moderator: Sie stammen aus der Loire - und es stimmt, dass Sie sich zunächst für Fußball begeistert haben.

Prost: Für Fußball, ja, und Gymnastik. Ich hatte mich mit acht Jahren in der Fußball-Schule eingeschrieben. Ich habe auch nie aufgehört, Fußball zu spielen - praktisch bis zum Beginn meiner F1-Karriere. Hier hat aber auch der Zufall mitgespielt, denn ich bin auch viel gelaufen, habe Cross betrieben, und dabei habe ich mir eines Tages das Knie gebrochen, und gleich darauf auch noch den Knöchel, als ich wie die großen Turner am Reck üben wollte - ich war auf diesem Gebiet also ganz und gar nicht kompetent. Dann habe ich ein Kart versucht, und das war eine große Entdeckung für mich. Der Fußball ist aber stets meine zweite Leidenschaft geblieben.

Moderator: Sie stammen mütterlicherseits aus Armenien - Ihre Großmutter Viktoria hat Ihnen über den Völkermord an den Armeniern [durch die Türken, 1915] erzählt, Sie haben sehr viel später ein gewisses Bewusstsein für diese Tragödie entwickelt. Aber hören wir erst einmal Ihrer Mutter Marie-Rose zu.

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Marie-Rose Prost: Er war ein völlig überdrehtes Kind, ständig in Bewegung - aber er konnte alles machen. Er hatte sehr geschickte Hände und war sehr gut in der Schule. Er war ein turbulentes Kind - aber was will man machen, es war eben so... er zusammen mit seinem Bruder, es war nicht immer einfach mit den beiden, das kann ich Ihnen sagen (lacht). Er hat Fußball gespielt und sich dabei sehr gut geschlagen - dann hat er sich eines Tages das Knie gebrochen, und ich wollte nicht mehr, dass er Fußball spielt, weil es gefährlich war! Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich ihn wohl weiter Fußball spielen lassen (lacht). Aber gottseidank ist ihm nie etwas zugestoßen, und darüber bin ich sehr froh. Erst sein Bruder hat ihn für den Rennsport begeistert, denn der interessierte sich sehr für Motorräder und Autos - Alain aber nicht so sehr. Aber beim ersten Kartrennen hat es "klick" gemacht. Er ist mit den Großen mitgefahren und hat sie alle geschlagen. Mein Mann und ich haben ihn dann zu den Rennen begleitet - wenn mein Mann keine Zeit hatte, habe ich mein Auto mit dem Anhänger geschnappt und wir fuhren los. Aber ehrlich gesagt habe ich mir nie eines seiner Rennen angeschaut - weder im Kart noch sonstwo - weil ich zu viel Angst hatte. Er ging an den Start - und ich verließ die Strecke und versteckte mich (lacht). Ich kam zurück, wenn es vorbei war. Er hat immer gewonnen. Und wenn er ein Rennen beendet hatte, war er nie zufrieden - auch nicht bei gewonnenen Rennen - er dachte schon an das nächste. Und sogar in der F1 war es so - er war zwar zufrieden, dachte aber immer schon an das nächste Rennen. Und auch später haben wir immer Angst gehabt, auch mein Mann. Das waren furchtbare Tage - an den Rennsonntagen sind wie nie weggefahren, haben keinen Besuch empfangen, wir wollten zu Hause allein sein. Was mich stolz macht, ist, dass er der erste französische Weltmeister war - das ist ja schon mal eine gute Sache. Hoffentlich nicht der letzte, aber auf jeden Fall der erste.

Interviewerin: Und was ist Ihre schönste Erinnerung?

Marie-Rose Prost: Als er aufgehört hat. Wir hatten viel Sorge um ihm, und ich war erleichtert, als er aufgehört hat. Aber er hat uns auch viel Freude gebracht, und er ist mein Sohn.

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Prost: Sie kennt mich gut.

Moderator: Die Eltern von Michael Schumacher haben uns das Gleiche gesagt wie Ihre Mama. Wie groß muss der Stress eines Vaters und einer Mutter sein.

Prost: Ich habe das selber nie gewusst, bis Nicolas mit dem Rennfahren angefangen hat. Meine Mutter ist vor den Rennen tatsächlich immer weggegangen. Bei einem Kartrennen in Holland ist sie beim Start in den Wald gegangen und hat sich dort verlaufen. Wir haben sie erst drei oder vier Stunden später gefunden, und alle haben sich Sorgen gemacht. Man muss anerkennen, dass sie ein sehr schwieriges Leben gehabt hat, denn sie hat viel Unglück erlebt - vor allem die Krankheit meines älteren Bruders, der krank war, seit er zwölf oder dreizehn war. Er war aber auch völlig motorsportverrückt, er hatte überall Poster an den Wänden, sogar an der Decke, damit er sie abends beim Schlafengehen betrachten konnte. Er hat mich auch mit dem Rennsportvirus angesteckt, bevor ich mit dem Kartfahren begann. Er war leider immer krank, später bekam er noch einen Tumor und ist mit 33 Jahren gestorben - während ich ein Rennen fuhr. Für meine Mutter war es sehr schwierig, gleichzeitig den Stress der Krankheit und den Stress der Angst um ihren zweiten Sohn zu haben, den sie ja jederzeit durch einen Unfall verlieren konnte, und ich weiß heute, dass das unglaublich schwierig war.

(Dann wird Prost über das Schicksal seiner Großmutter und den Völkermord an den Armeniern befragt, das ist aber recht politisch und anschließend folgt eine Darbietung einer armenischen Tanzgruppe und Schleichwerbung für ein halbes Dutzend armenischer Interpreten, ich lasse es also mal aus.)

Moderator: Nun einige Fotos großer Fahrer, durch die Sie beeinflusst wurden. Natürlich Jackie Stewart, dreifacher Weltmeister 1969, 1971, 1973, der an dem Tag zurücktrat, als sein Teamkollege François Cevert tödlich verunglückte. Emerson Fittipaldi, Brasilianer, Weltmeister 1972 und 1974, ein Fahrer, den Sie sehr gut kannten. Ronnie Peterson, der 1978 in Monza tödlich verunglückte und von seinen 123 gefahrenen Grands Prix zehn gewonnen hat - und schließlich François Cevert, der Schwager von Jean-Pierre Beltoise, 37 Grands Prix, 13 Podestplatzierungen, tödlich verunglückt mit 29 Jahren beim Training zum USA-GP, Teamkollege von Jackie Stewart, der daraufhin seine Karriere beendete. Er hatte das Zeug zum Weltmeister, nicht?

Prost: Ja, Jackie selbst sagte ja schon, dass François der nächste Weltmeister sein würde. Unter diesen Umständen war es sehr schwierig.

Moderator: Wir haben nun Bernard Spindler bei uns, einen der besten Kenner der F1, Buchautor und Sportreporter, und er hat mehr als 200 Grands Prix mitverfolgt. Sie sind einer der wenigen Reporter, die Alain wirklich kennen. Und das ist ein großes Kompliment, denn es gibt nur wenige Journalisten, die bei Alain am Ende seiner Karriere noch einen guten Ruf hatten. Mit der Presse hat es nicht immer so gut geklappt, oder?

Prost: Nein, nicht immer. Warum? Ganz einfach. Von Anfang an habe ich versucht, möglichst viel Disziplin und Professionalität in meinen Tätigkeit zu legen, und ich fand, dass - nun ja, nicht die Mehrzahl, aber doch viele Sportjournalisten - wobei ich nicht alle in eine Schublade stecken möchte - kein professionelles Benehmen zeigen, ungerecht sind und oft nicht integer sind. Wenn sie gut sind, sind sie gut, aber ich kann Ihnen sagen, dass es viele Schlechte gibt.

Moderator (offenbar erstaunt über diese Offenheit): Na gut... (Applaus vom Publikum) Nun, Bertrand, wir haben hier einen der größten Rennfahrer aller Zeiten, der eine ganze Generation träumen gelassen hat. Bis heute nennt man ihn den "Professor". Warum? Was hat er den anderen voraus?

Spindler: Er hat wie ein Verrückter gearbeitet. Er konnte die Dinge auf geniale Weise auf den Punkt bringen. Sein Geheimnis war nicht nur das Schnellsein auf der Strecke, sondern auch die Arbeit abseits der Piste. Alain ist einer, der arbeitet - zu Beginn war er ein Autodidakt, aber er hat sehr viel Gespür, er erkennt schnell Lösungen. Er hat auch viel mit seinen Ingenieuren gearbeitet. Es gibt nicht viele Leute, von denen man das behaupten könnte - ich habe drei gekannt, Lauda, Senna und ihn.

Moderator: Einer, der es auf den Punkt bringt - einer, der ins Auto steigt, einige Runden dreht und dann zurückkommt und den Ingenieuren genau sagen kann, was stimmt und was nicht. Jemand, der so ins Auto hineinhorchen kann, dass er nachher Informationen geben kann, die Monate und Jahre an Recherche ersparen?

Spindler: Genau. Man sagt oft, warum macht man das nicht einfach auf einem Simulator? Es gibt etwas, das unersetzbar ist: Alain setzt sich ins Auto und gibt 105%. Er hört, sieht und spürt und kann das bei seinen Ingenieuren rüberbringen.

Moderator: Also eine besondere Veranlagung?

Spindler: Alain wurde zum Sportler geboren. Er hasst es zu verlieren, das Wort fehlt in seinem Wortschatz.

Prost: Man hasst es, aber man akzeptiert es. Das ist ein Unterschied

Spindler: Na gut, du akzeptierst es mit einem langen Gesicht. (Lachen)

Moderator: Wir werden nun einige Szenen aus der F1-Karriere von Alain Prost sehen, die Sie gleich kommentieren werden.

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1980 - Kart und F3 liegen schon weit zurück, Alain gibt nun sein großes Debüt beim englischen McLaren-Rennstall und wird bei seinem ersten Rennen in Buenos Aires Sechster. Sein erstes Interview:

"Ich habe momentan etwas Schwierigkeiten, mich auf Englisch auszudrücken, aber natürlich bin ich fleißig am Lernen. Ein englisches Team hat immer ein gewisses Renommee - und dieses Team war schon zwei Mal Weltmeister. Wenn ich diesen Rennstall verlasse, hoffe ich, dass ich meinen weiteren Weg vielleicht einfacher gehen kann. Mein erstes Ziel, in die F1 zu kommen, habe ich erreicht, das zweite ist immer noch, Weltmeister zu werden, aber das ist eine andere Geschichte."

Das englische Abenteuer dauert nur ein Jahr. 1981 fährt Prost an der Seite von René Arnoux bei Renault.

Prost im Renault: "Letztes Jahr war ich in einem nicht so konkurrenzfähigen Auto, und jetzt merke ich gleich, dass ich in einem guten Auto sitze, das ein großes Potenzial besitzt. Es macht mir Freude, ein Auto zu fahren, das nicht nur schnell ist, sondern das ich auch, denke ich, weiterentwickeln kann, und das ist vor allem für die Zukunft ermutigend."

Dem erste Sieg in Dijon am 5. Juli 1981 folgen Siege in Holland und Italien und ein 5. WM-Rang. 1984 kehrt Alain Prost zu McLaren zurück. In diesem Jahr holt er 7 Siege und wird WM-Zweiter hinter Niki Lauda. Und bereits jetzt beginnen die großen Duelle mit Ayrton Senna, wie in Monza 1985, wo Prost trotz heftiger Gegenwehr Sennas gewinnt und mit insgesamt 5 Siegen erstmals Weltmeister wird.

Frage: "Woran denkt man als erster französischer Weltmeister?" - Prost: "Wirklich gar nichts... ich denke, mit dem ganzen Team, ich bin sehr glücklich für alle Franzosen an den Fernsehgeräten, aber im Moment kann ich noch gar nichts fühlen - wenn ich etwas sagen würde, wäre es unehrlich. Man denkt an gar nichts."

Im folgenden Jahr, beim Australien-GP in Adelaide, gewinnt Alain Prost nach einem spektakulären Reifenschaden von Nigel Mansell und einem zusätzlichen Boxenstopp von Nelson Piquet seinen 25. Grand Prix und seinen zweiten WM-Titel. Im selben Jahr erhalten Prost, Jean Todt und Jacques Laffite von Präsident Mittérand die "Légion d'Honneur".

1989 holt Alain Prost seinen dritten WM-Titel - wir erinnern uns an seine Kollision mit Ayrton Senna, die Ursache der Disqualifikation des Brasilianers und eines heftigen Streits zwischen den beiden Fahrern war. 1990 geht Prost zu Ferrari, das er Ende 1991 kurz vor der Ankunft von Jean Todt wieder verlässt. Nach einem Jahr Pause fährt er 1993 für Williams-Renault. Dort gewinnt er auch seinen vierten und letzten WM-Titel - beim Portugal-GP, an den wir uns wegen des erbitterten Kampfes zwischen Michael Schumacher und Prost erinnern. Schumacher gewann, Prost wurde Zweiter und war Weltmeister.

Prost neben Frank Williams sitzend: "Diese Pressekonferenz soll Ihnen mitteilen, dass ich nach dem Großen Preis von Australien keine F1-Rennen mehr bestreiten werde. Ich höre also am Saisonende definitiv auf." Am Saisonende verabschiedet er sich auf den Champs Elysées im Williams-Renault von seinen Fans - mit 4 WM-Titeln, 199 Grands Prix, 51 Siegen und 106 Podestplätzen.

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Moderator: Diese Bilder wühlen auf, oder?

Prost: Ja, denn es ist eine Zusammenfassung, es gäbe so viel zu sagen...

Moderator: Ich merke an, dass Sie zwei Kollisionen mit zwei großen Rivalen hatten: mit Senna und mit Schumacher. Letzterer wird sich aber gleich dazu äußern.

Prost: Mit Schumacher gab es aber keine Kollision. Damals in Portugal [1993] hatte ich ein Problem beim Boxenstopp und war dann hinter ihm. Obwohl ich wesentlich schneller war, hat er mich nicht vorbeigelassen und ist während der letzten Runden ständig Zickzack gefahren. Aber für mich ging es um den WM-Titel, ich habe es also nicht drauf ankommen lassen. Es war schon ein bisschen unfair, aber er hat sich danach entschuldigt.

Moderator: Vor 15 Tagen habe ich mit ihm gesprochen, und er hat sich noch einmal entschuldigt, was wir gleich sehen werden.

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Schumacher: Ich fühle mich immer noch ein bisschen schuldig für das, was ich damals in diesem Rennen 1993 in Portugal gemacht habe, aber es war meine einzige Chance, vor Alain bleiben zu können (grinst).

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Moderator: Prost gegen Senna, Senna gegen Prost - das war wirklich ein außergewöhnliches Duell. Ich habe gestern mit Alain gesprochen - es gab dort weder eine Nummer Eins noch eine Nummer Zwei, sondern zwei Stars im selben Team?

Spindler: Absolut. Wie gern hätte ich Schumacher und Prost im gleichen Team gesehen!

Moderator: Und Alain war vorher mit dem Besten in einem Team, mit Senna.

Spindler: Und umgekehrt! Senna hat das Gleiche von Prost gesagt. Man kann die beiden nicht voneinander trennen. Der Ausdruck "verfeindete Brüder" war durchaus gerechtfertigt. Sie brauchten einander, sie brauchten das Duell gegeneinander.

Moderator: Alain, Sie wussten aber schon, als Senna zu McLaren kam, dass es Spannungen geben würde, oder?

Prost: Man muss das nur ein wenig in den richtigen Zusammenhang setzen. Zu jener Zeit stand ich McLaren sehr nahe - fast schon wie ein Teilhaber, ich war sehr eng mit Mansour Ojjeh [Chef von TAG Heuer und damaliger Haupteigner von McLaren] und Ron Dennis befreundet. Als sie mir 1987 sagten, "wir holen für nächstes Jahr Nelson Piquet ins Team", sagte ich, "nein, wir müssen den Besten haben." Natürlich war Nelson sehr gut, er war ja drei Mal Weltmeister...

Moderator: Aber Sie haben dann Senna empfohlen.

Prost: Ich habe darauf bestanden, dass wir Senna nehmen sollten. Ich war mit Ron Dennis in Japan - als er sich mit dem Motorenhersteller [Honda wechselte Ende 1987 von Williams zu McLaren] und den Sponsoren traf, war ich dabei. Wir gingen gemeinsam zu allen Meetings. Die Japaner in Tokio - daran werde ich mich mein ganzes Leben lang erinnern - um drei Uhr nachts diskutierten wir über die Verträge. Sie fragten: Warum wollt ihr Senna? Sie haben es nicht verstanden. (lächelt) Damals gab es auch keine Nummer-Eins-Position. Ich habe in meiner gesamten Karriere nie in einem Vertrag um eine Nummer-Eins-Position gebeten.

Moderator: Sie hatten also beide gleiche Bedingungen.

Prost: Ich wollte ja auch nicht die Nummer Zwei sein. Mit Niki Lauda [1984, Laudas Weltmeisterjahr] war ich die Nummer Zwei - wie auch mit John Watson in meinem Debütjahr 1980, das war aber auch wieder nachzuvollziehen.

Moderator: Senna also - verunglückt im Rennen, so jung gestorben - als Prost schon den Helm an den Nagel gehängt hatte. Ich werde mich immer daran erinnern - dieses Rennen, als Senna im Warm-Up durch den Funk sagte, "I miss you, Alain - ich vermisse dich". Man konnte fast den Eindruck erwecken, dass er nicht mehr so viel Interesse an der F1 hatte, weil sein Hauptgegner nicht mehr da war.

Spindler: So war es auch. Sie brauchten einer den anderen - nicht nur, weil sie eine außergewöhnliche Show lieferten, sondern weil sie im Grunde auch einander achteten - sie wussten sehr gut, dass sie auf einem Level waren. Sie bekämpften sich mit dem Messer - sie respektierten einander und hassten sich zugleich.

Prost: Dass wir uns gehasst haben, würde ich nicht gerade sagen. Als Senna in die F1 kam, hatte er ein Ziel. Er war fünf Jahre jünger, was in allen Sportarten ein Vorteil ist. Er hatte also ein Ziel: mich zu schlagen. Und sogar gewissermaßen, mich zu "zerstören", es war sehr intensiv. Während ich mich verteidigen wollte - und er hat mich in gewisser Weise auch wieder motiviert.

Moderator: Wir werden nun einige Bilder Ihrer Rivalität sehen - und dann über den Tod von Senna sprechen, der für einige noch immer ein Mysterium ist.

Prost gegen Senna - Senna gegen Prost. Zwei Fahrer, die bereit waren, sich auf der Piste gegenseitig bis zum Äußersten zu treiben, die aber intelligent genug waren, nebeneinander in einem Team zu fahren und sogar zusammenzuarbeiten.

1988 - Prost-Senna aus der Sicht der beiden Hauptdarsteller:

Senna: "Es ist aufregend und motivierend. Jeder versucht, den anderen zu schlagen, und ich glaube, die Saison, so wie bisher gelaufen ist, hat uns beiden viel gebracht.
Prost: "Die Stimmung zwischen Ayrton und mir wird immer besser. Er hat sein letztes Wort sicher noch nicht gesprochen, er wird immer stärker angreifen - wenn ich jetzt eine Pole Position hole, wird ihn das wohl noch weiter anstacheln, aber die Beziehungen sind sehr, sehr gut. Es gibt keine Probleme."

GP Japan in Suzuka, 21. Oktober 1990 - Startcrash zwischen Prost und Senna, Senna ist damit wieder Weltmeister

Interviewer: "Ja, kein Zweifel, das Manöver von Senna war Absicht. Haben Sie ihn nicht gesehen, haben Sie ihn nicht an dieser Stelle erwartet?" - Prost: "Er hat mich hinten berührt - er hätte es vielleicht an jeder anderen Stelle gemacht. Es gibt höchstens einen Prozent Zweifel - eigentlich nicht mal dieses eine Prozent..."


GP Australien in Adelaide, 7. November 1993 - Prost und Senna bestreiten ihr letztes gemeinsames Rennen, Senna gewinnt, Prost wird Zweiter. Nach dem Rennen versöhnen sich die beiden, Senna holt Prost zu sich auf die oberste Stufe.

Prost: "Es war unmöglich, zum letzten Mal gemeinsam aufs Podest zu steigen, ohne der Welt zu zeigen, dass jede Rivalität irgendwann ein Ende findet. Man spricht in der F1 viel von Politik, vom Geschäft, vom Show-Business und solchen Dingen - aber das Wichtigste ist immer noch der Sport, und selbst wenn es keine Freundschaft gibt, ist es sehr wichtig, der Welt zu zeigen, und der Jugend zu zeigen, dass Sportler sich respektieren und der Sport immer die Oberhand behält."

Senna im Schwimmdress, an einem Strand: "Es gibt immer eine gewisse Gefahr im Rennsport. Formel 1 ist Teil des Rennsports. Also, jedes Mal, wenn du testen gehst oder Rennen fährst, bist du einem gewissen Risiko ausgesetzt. Es gibt kalkulierte Risiken, und es gibt unerwartete Situationen, die auftreten können. Du kannst weg sein - innerhalb des Bruchteils einer Sekunde. Und du begreifst, dass du niemand bist. Auf einmal bist du niemand mehr, und dein Leben kann ein jähes Ende finden. Im Grunde liebe ich viel zu sehr, was ich tue, um einfach damit aufzuhören. Ich kann nicht aufhören. Es ist ein Teil meines Lebens."

Ayrton Senna geht am 1. Mai 1994 auf den "Circuito Enzo e Dino Ferrari" in Imola von uns. Er stirbt wenige Stunden nach dem schweren Unfall in der [damaligen] Tamburello-Kurve. Auf den 45 Kilometern vom Flughafen bis zum Stadtzentrum von Sao Paulo erweisen Millionen von Brasilianern ihm die letzte Ehre. Viele Piloten gehen am Sarg mit der brasilianischen Flagge vorbei - darunter auch Alain Prost. 21 Kanonen markieren den Beginn der dreitägigen Staatstrauer in Brasilien. Auch elf Jahre nach seinem Tod hat niemand Ayrton Senna vergessen, und niemand hat ihm ersetzt.

Moderator: Bernard Spindler, sie bringen es in Ihrem Buch auf den Punkt: Senna verunglückte tödlich, weil die Lenksäule seines Wagens brach und der Wagen in der Kurve nicht mehr lenkbar war. Haben Sie eine andere Version, Alain?

Prost: Nein, nein, keine andere Version - die Lenksäule war auf jeden Fall... man muss wissen, dass - ohne dass man ganz sicher sein kann -, im Winter 1993/94 hat er mich oft angerufen. Wir hatten uns versöhnt. Um es kurz zu sagen - ich hatte mit dem Rennfahren aufgehört, ich hatte zwar ein paar Tests mit McLaren, aber ich hatte ohnehin beschlossen, nicht zurückzukommen. Er rief mich an - damit ich zurückkommen sollte! Und da habe ich verstanden, dass es ihm ohne mich einfach nicht mehr so viel Spaß
machte. Er hat mir selbst gesagt - er hatte einfach nicht mehr so ein großes Interesse ohne mich, und er wollte, dass ich zurückkomme. Ich habe ihm gesagt, wie willst du, dass ich in einem Auto zurückkomme, das nicht konkurrenzfähig ist? Er war unglücklich. Er war sehr unglücklich in seinem Team - er war etwas enttäuscht, denn man muss wissen, dass McLaren ein Team ist, das sich sehr um seine Piloten kümmert, man fühlt sich sehr wohl bei McLaren. Bei Williams ist es ganz anders. Und auch Ayrton fühlte nicht dort nicht so wohl. Er hatte ein Problem mit der Sitzposition und bat mich um Rat. Ich habe ihm gesagt - hör zu, ich habe auch Probleme in diesem Auto gehabt, ich weiß, dass man darin sehr unbequem sitzt, und dass man das Auto modifizieren muss.

Moderator: Der Fahrer Senna - ein Seiltänzer?

Spindler: Ja... "Magic Senna", ein schöner Ausdruck.

Moderator: Im Nassen war er unheimlich beeindruckend.

Spindler: Unglaublich. Aber es gibt keine Wunder - wie Alain war Senna ein Seiltänzer. "Magic Senna" ist ein hübscher Ausdruck, aber es war keine Zauberei, sondern viel Arbeit. Es war auch Intuition dabei, und manchmal vielleicht auch der entscheidende Zentimeter mehr oder weniger, der den Unterschied zu einer Bestzeit ausmacht.

Moderator: Ich bin ihm nur einmal begegnet - sein Blick hat mich fasziniert. Er hatte fast etwas von einem Besessenen. Er war auch sehr gläubig, nicht wahr?

Spindler: Er war gläubig und sehr gut erzogen. Man hatte ihm ein Image angedichtet als jemand, der nicht einfach im Umgang sei, der Schwierigkeiten mit den Medien und der Öffentlichkeit hätte. Aber das stimmte nicht. Er war jemand, der viele Dinge für sich behalten hat, aber jemand, der unglaublich höflich war, jemand, der etwas zu sagen hatte.

Moderator: Alain, zu welchem Zeitpunkt haben Sie entschieden, den Helm an den Nagel zu hängen? Was hat Sie dazu bewegt?

Prost: Was mich zum Rücktritt bewegt hat, war, dass ich damals, 1993, nicht mehr mit dem Milieu, mit der Atmosphäre in der F1 übereinkam. Wenn ich gewann, war das ganz normal - ich hatte ja das beste Auto -, wenn ich aber verlor, war ich ein *****. Es war eigentlich nicht das erste Mal. Als ich bei McLaren wegging, wusste ich überhaupt nicht, wo ich 1990 überhaupt fahren würde. Damals wollte ich schon aufhören, weil ich mir sagte, ich will nicht mehr so weitermachen. Ich hatte im Winter 1988/89 die ganzen Wintertestes gemacht, die ganze Entwicklung, aber Ayrton blieb drei oder vier Monate in Brasilien und gab dann gleich Gas. Ich hatte es irgendwie satt und wollte nicht weitermachen. 1993 aber kam Frank Williams mehrmals zu mir, er kam sogar eigens im Privatjet, um mir zu sagen - Alain, akzeptierst du, dass Ayrton nächstes Jahr ins Team kommt? Ich hatte einen Zwei-Jahres-Vertrag. Ich sagte - Frank, das war eine unserer ersten Diskussionen, ich kann nicht im gleichen Team sein wie Ayrton. Ich kann mit egal welchem Auto gegen Ayrton kämpfen, ich kann mein Auto entwickeln und meine Arbeit tun, ich kann auf der Strecke gegen ihn kämpfen, aber nicht im gleichen Team. Und so ging es dann weiter, bis ich schließlich sagte - wartet mal. Die Presse, mein Team, und so weiter... ich fühlte mich nicht mehr wohl. Ich habe damals zu meiner Familie, zu meinem Sohn - der ziemlich enttäuscht war - gesagt, dass ich mich nicht mehr wohlfühle und aufhöre.

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